Interessenskonflikt: Glyphosat-Freispruch stammt von industrienahen Wissenschaftlern

Das Joint Meeting on Pesticide Residues (JMPR), eine Kommission der Welternährungsorganisation FAO und der Weltgesundheitsorganisation WHO, erklärte in der letzten Woche Glyphosat für unbedenklich. Der Wirkstoff sei „für Menschen durch Exposition über die Nahrung wahrscheinlich nicht krebserregend.“ Dass diese Stellungnahme kurz vor der geplanten EU-Entscheidung über die Wiederzulassung von Glyphosat veröffentlicht wurde, sei reiner Zufall gewesen, erklärte ein WHO-Sprecher. Gefragt hatte ihn die britische Zeitung The Guardian, die einen massiven Interessenskonflikt aufgedeckt hat.

Der Vorsitzende des JMPR, der britische Biochemiker Alan Boobis ist zugleich Vizepräsident des International Life Science Institute (ILSI) Europe. Der stellvertretende JMPR-Vorsitzende Angelo Moretto ist Vorstandsmitglied eines Institut, das zu ILSI gehört. ILSI ist eine industriegesponserte Organisation, der seit Jahren vorgeworfen wird, dass sie wesentliche EU-Entscheidungen im Gentechnik- und Chemikalienrecht beeinflusse. Nach Informationen des Guardian erhielt ILSI im Jahr 2012 eine Spende über 500.000 US-Dollar von Monsanto sowie eine weitere Spende über 528.500 Dollar von der Pestizidlobbyorgaisation Croplife International. Der Guardian erinnerte auch daran, dass Angelo Moretto 2011 aus dem Expertengremium der EU-Lebensmittelbehörde EFSA für Pestizidrückstände ausscheiden musste, weil er seine ILSI-Verbindungen verschwiegen hatte. Einen Beratervertrag mit Boobis habe die EFSA 2012 nicht mehr verlängert. Der Guardian zitiert den für JMPR zuständigen WHO-Offiziellen Philippe Verger mit den Worten, ILSI sei lediglich ein Treffpunkt und Forum für wissenschaftliche Diskussionen zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor. Ganz anders werten die Online-Aktivisten von Campact den Vorgang: „Der Glyphosat-Freispruch von FAO/WHO war anscheinend von Monsanto mitfinanziert. Das grenzt an Korruption.“

Die Organisation Corporate Europe Observation (CEO) weist darauf hin, dass Boobis und Moretti federführend bei einem ILSI-Projekt namens Risk21 sind. Dessen Denkansatz findet sich inzwischen in zahlreichen Veröffentlichungen, die erklären, dass es bei der Bewertung von Glyphosat eigentlich gar keinen wissenschaftlichen Widerspruch gebe, sondern nur einen Unterschied hin der Herangehensweise. Die einen, etwa die Krebsexperten des WHO im IARC, betrachten das theoretische Gefahrenpotential eines Stoffes, auf englisch ‚hazard’. Die anderen, wie EFSA, BfR und JMPR, schätzen hingegen das konkrete Risiko ab, dass die Aufnahme eines potentiell gefährlichen Stoffes tatsächlich mit sich bringt (risk assessment). Eben diese Bedeutung dieses expositions-abhängigen Risikos zu stärken, ist die Aufgabe von Risk21. Das zielt auch auf Pestizidrecht der EU. Denn dort reicht noch die potentielle Krebsgefahr aus, um einen Wirkstoff auszuschließen.